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Prof. Marius Keel

Sehnenverletzungen am Becken

Während Muskel- und Sehnenverletzungen an den oberen Extremitäten bei Wurf- oder Kraftsportarten oder Achillessehnenverletzungen vor allem beim Laufsport häufig auftreten, sind beckennahe Sehnenverletzungen selten. Solche treten vor allem bei Sportarten auf mit schnellen Richtungsänderungen. Die häufigsten sind Verletzungen der ischiokruralen Muskulatur (rückseitige Oberschenkelmuskulatur (Hüftgelenksstrecker und Kniebeuger)), der sog. Hamstring-Muskelgruppe durch starke Beugung im Hüftgelenk und gleichzeitiger Kniestreckung (Kickbewegung beim Fussball oder Wasserski). Die Hamstring-Muskelgruppe besteht aus den langen und kurzen Köpfen des Musculus biceps femoris, dem M. semitendinosus und dem M. semimembranosus. Meist kommt es zu Verletzungen im muskulotendinösen Übergang, seltener zu Avulsions- (Abriss) Verletzungen der Sehnenplatte am Tuber ischiadicum (Sitzbein), sehr selten zu eigentlichen Avulsionsfrakturen (Abrissfrakturen).

Sehnenverletzungen des Musculus rectus femoris (gerader Muskel des Oberschenkels) an der sog. Spina iliaca anterior inferior (unterer Darmbeinstachel) sind typische, aber seltene Verletzungen bei Fussballern, speziell in Kombination mit der seltenen vorderen Hüftluxation. Dabei werden bei Patienten im Wachstumsalter eher Avulsionsverletzungen, bei Erwachsenen Abrissfrakturen beobachtet.

Avulsionsverletzungen der Spina iliaca anterior superior (oberer Darmbeinstachel) mit den Muskelursprüngen des Musculus tensor fasciae latae und des M. sartorius sowie des Leistenbandes sind seltene Verletzungen vor allem bei adoleszenten Sprintern, Distanzläufern oder Fußballspielern. Bei direktem Trauma treten Abrissfrakturen auf.

Sehr seltene Sehnenverletzungen sind Rupturen der Iliopsoassehne am Ansatz beim Trochanter minor (kleiner Rollhügel). Verletzungen der Adduktorenmuskulatur treten meist im muskulotendinösen Übergang auf und benötigen meist keine operative Intervention.

 

Klinik & Diagnostik

Bei Hamstringverletzungen zeigt sich ein schmerzhafter Oberschenkel bei Bewegungen im Hüft- oder Kniegelenk und beim Sitzen. Während des Unfallereignisses spürt der Patient ein Rissgefühl, begleitet von einem sofortigen Schmerz und Kraftverlust. Zudem entwickelt sich ein Bluterguss, zuerst am Gesäss, dann runterlaufend am Oberschenkel. Bei einer kompletten Ruptur kann der Sehnendefekt getastet werden. Avulsionsverletzungen oder –frakturen im Bereich der oberen und unteren Darmbeinstacheln treten mit Schmerzen, Kraftverlust und Hämatomen an der Vorderseite des Oberschenkels auf.

Alle beckennahen Sehnenverletzungen werden mittels Magnetresonanztomografie (MRT) diagnostiziert.

 

Behandlung

Muskuläre Verletzungen der Hamstrings werden konservativ mit Entlastung für 6-12 Wochen behandelt. Akute Avulsionsverletzungen werden mittels mehreren Fadenanker über einen Schnitt in der Gefässfalte in Bauchlage operativ versorgt, um chronische Schmerzen und eine eingeschränkte Funktion mit Kraftverlust zu verhindern. Die Nachbehandlung erfolgt an Stöcken für 6 Wochen mit eingeschränkter Hüftflexion von ca. 60° und limitierter Kniestreckung. Bei chronischen Fällen (mehr als 4 Wochen nach Unfall) ist die operative Refixation indiziert, wenn trotz intensiver Rehabilitation Schmerzen und eine Funktionseinschränkung persistieren oder wegen Vernarbungen zum Ischiasnerven Schmerzen auftreten. Avulsionsfrakturen am Sitzbein werden je nach Grösse der Fragmente mittels Schrauben oder Platten fixiert.

Avulsionsverletzungen an den Darmbeinstacheln (Spinal iliaca anterior superior/inferior) können konservativ oder operativ mit Fadenanker (schnellere Rehabilitation) behandelt werden. Die häufigeren Avulsionsfrakturen werden über den vorderen sog. iliofemoralen Zugang nach Smith-Petersen entlang der Beckenschaufel und vorne über das Hüftgelenk offen eingerichtet und mit Schrauben fixiert. Zur höheren Stabilität, um einen erneuten Ausriss zu verhindern, wird zusätzlich eine Platte als Zuggurtung verwendet.


 
 

Abb. 1. Komplette Ruptur der ischiokruralen Muskulatur mit großer Retraktion und Hämatom bei 45-jähriger Patientin nach Verhebetrauma (koronarer MRT-Schnitt (a) und sagittaler MRT-Schnitt (b)). Intraoperativer Situs mit Mobilisation des Sehnenspiegels und Anfrischen des Sitzbeins unter Schonung des N. cutaneus femoris posterior (c). Setzen von 3 Fadenankern und Readaptation der ischiokruralen Muskulatur am Sitzbein (d).
 


 
 

Abb. 2. Avulsionsfraktur der Spina ilaca anterior superior (Beckenübersicht (a)). Röntgenbild 1 Jahr postoperativ (b) nach Schraubenfixation und zusätzlicher Zggurtungsplattenosteosynthese der Spina iliaca anterior superior.
 


 
 

Abb. 3. Vordere Hüftluxation mit ossärem Ausriss der Spina iliaca anterior inferior und zusätzlicher ossärer Labrumläsion bei 50-jährigem Patienten (Beckenübersicht vor geschlossener Reposition (a)). Postoperatives Röntgen (b) nach Schraubenfixation und Zuggurtungsplattenosteosynthese der Spina iliaca anterior inferior, wobei für den Zugang eine Osteotomie der Spina iliaca anterior superior durchgeführt wurde und diese mit Schrauben refixiert wurde.
 


 
 

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