Ihr Spezialist:

Prof. Marius Keel

Azetabulumfraktur (Hüftpfannenfraktur)

Azetabulumfrakturen entstehen durch Gewalt von vorne bei gebeugtem Hüftgelenk wie z.B. durch Aufprall am Armaturenbrett bei Verkehrsunfällen, oder durch Gewalt von der Seite, speziell bei älteren Patienten durch Sturz auf den Trochanter major. Anhand der Darstellung der Hüftgelenkspfanne als umgekehrtes „Y“ beschrieben Judet und Letournel einen vorderen und einen hinteren Azetabulumpfeiler mit einer Vorder- und Hinterwand. Morphologisch wurden von ihnen 5 einfache und 5 komplexe Frakturen klassifiziert. Die häufigsten sind die sog. Zweipfeilerfrakturen, die Hinterwandfrakturen oder die Querfrakturen kombiniert mit Hinterwandfrakturen. Die Azetabulumfrakturen haben durch die Überalterung und die zunehmende Aktivität im Alter zugenommen, weshalb zunehmend die Frakturen im vorderern Pfeiler, vor allem Vorderpfeilerfrakturen mit hinterer Querfraktur beobachtet werden, wobei häufig auch das Azetabulumdach eingedrückt wird (Domimpression).

 

Klinik, Diagnostik

Die Beschwerden variieren zwischen Fernschmerzen im Oberschenkel, schmerzhafter Bewegungseinschränkung oder einer federnden Fehlstellung bei Luxationsverletzungen. Selten treten bei dorsalen Luxationen Läsionen des Ischiasnerven auf mit Zehen- und Fussheberlähmungen. Neben Röntgenbildern wird immer eine Computertomografie (CT) durchgeführt, um auch prognostisch wichtige Zusatzverletzungen am Femurkopf, Impressionen (Einstauchungen) am Pfannendach (Domimpression), freie Fragemente im Gelenk oder den nach zentral gedrückte Pfannengrund (medialisierte quadrilaterale Fläche) zu erkennen.

 

Behandlung

Konservativ

Unverschobene Frakturen werden mit Teilbelastung von 15kg über 8 Wochen behandelt. Bei älteren Patienten mit hohen Operationsrisiken kann die Spontanheilung abgewartet werden, um allenfalls später eine Hüfttotalprothese einzusetzen.

Operation

Verschobene (dislozierte) Frakturen werden operativ behandelt mit dem Ziel einer anatomischen Rekonstruktion mit einer Stufe („step“) der Fragmente ≤1mm und einem Spalt („gap“) ≤2mm. In Abhängigkeit der Hauptdislokation des vorderen oder hinteren Pfeilers wird über einen vorderen oder hinteren Zugang die Fraktur offen eingerichtet (reponiert) und mittels Schrauben und Platten der Knochen fixiert (Osteosynthesen). Seltener werden Schrauben über kleine Hautschnitte (perkutane Osteosynthesen) eingesetzt. Über Jahrzehnte waren der hintere Zugang nach Kocher-Langenbeck für Verletzungen des hinteren Pfeilers und der ilioinguinale Zugang nach Letournel für Verletzungen des vorderen Pfeilers die Standardzugänge. Dank der Einführung der chirurgischen Hüftluxation durch Professor Reinhold Ganz (emeritierter Professor für Orhopädie und Traumatologie an der Universität Bern) zur Kontrolle der Reposition vor allem bei Frakturen des hinteren Pfeilers oder der Hinterwand und des Pararectus-Zuganges durch Professor Marius Keel direkt über dem Hüftgelenk für Frakturen des vorderen Pfeilers können mehr anatomische Rekonstruktionen (>90%) mit besseren funktionellen Ergebnissen speziell auch bei älteren Patienten erreicht werden. „Pararectus“ wurde der Zugang genannt, weil die Präparation auf der Aussenseite des geraden Bauchmuskels (Musculus rectus abdominis) erfolgt. So wurde die weltweite Azetabulumchirurgie durch die „Berner Schule“ in den letzten 30 Jahren nachhaltig geprägt (PDF1, PDF2, PDF3). Durch die von Professor Keel eingeführte Kombination der chirurgischen Luxation mit dem Pararectus-Zugang können auch sehr komplexe Azetabulumfrakturen anatomisch rekonstruiert werden. In den 90er Jahren wurde der ilioinguinale Zugang bereits zunehmend durch den einfacheren vorderen intrapelvinen Zugang, den sog. modifizierten Zugang nach Stoppa (benannt nach einem italienischen Hernienchirurgen) abgelöst, der aber aufgrund der Einfachheit leider auch zu vielen Fixationen ohne adäquate Einrichtung durch unerfahrene Chirurgen führt.

 

Die Nachbehandlung beinhaltet die Teilbelastung für 8-12 Wochen je nach Fraktur, Stabilität nach der Versorgung und Zusatzschäden. Hüftgelenksarthrosen werden vor allem nach schlechten Rekonstruktionen, nach verzögerter operativer Versorgung (> 3 Wochen), bei Frakturen mit Zusatzverletzungen und vermehrt bei älteren Patienten beobachtet. Als Komplikationen können heterotope Ossifikationen (Verknöcherungen der Weichteile), oder Nervenläsionen in Abhängigkeit des Zugangs auftreten.

 

Bei nicht anatomisch rekonstruierbaren Frakturen oder schweren begleitenden Femurkopfschäden oder Impressionen am Pfannendach kann speziell bei älteren Patienten gleichzeitig neben der Rekonstruktion eine Hüfttotalprothese über einen hinteren oder vorderen Zugang implantiert werden und erlaubt eine frühzeitige Mobilisation unter Vollbelastung.


 
 

Abb. 1. Querfraktur bei einem 84-jährigen Patienten (3D-Computertomografie (CT)-Bild (a)), versorgt über einen minimalinvasiven Pararectus-Zugang (intraoperatives Bild (b) und schematische Zeichnung des Einsatzes eines speziellen Wundretraktors (c)). Geheilte Fraktur 1Jahr nach Plattenosteosynthese (d) bei beschwerdefreiem Patienten (e).

Abb. 1a
Abb. 1b
Abb. 1c
Abb. 1d
Abb. 1e

 
 

Abb. 2. Erstbeschreibung des Pararectus-Zuganges nach Keel im „Journal of Bone and Joint Surgery“ 2012 (a) und Publikation der klinischen Resultate nach 2 Jahren bei 48 Patienten in im „Injury“ 2014 (b) (PDF4).

Abb. 2a
Abb. 2b

 
 

Abb. 3. Der Preis für die beste Publikation mit Videos der operativen Schritte 2019 im „Journal of Bone and Joint Surgery Essential Surgical Techniques“(PDF5) ehrt Prof. Marius Keel als einen weltweit anerkannten und innovativen Becken- und Hüftchirurgen.

Abb. 3

 
 

Abb. 4. Dorsale Hüftluxationsfraktur mit T-förmiger Fraktur mit mehrfragmentärer Hinterwand bei junger Patientin (Röntgenbild vor (a) und nach geschlossener Reposition (b)). CT-Bild der sehr schwierigen Fraktur vor (c) und nach chirurgischer Hüftluxation und anatomischer Rekonstruktion (d). Intraoperative Sicht in die rekonstruierte Hüftgelenkspfanne mit luxiertem Femurkopf (e). Röntgenbild 5 1/2 Jahre nach operativer Versorgung ohne Arthrosezeichen (f).

Abb. 4a
Abb. 4b
Abb. 4c
Abb. 4d
Abb. 4e
Abb. 4 f

 
 

Abb. 5. Komplexe Zweipfeilerfraktur nach Mountainbike-Unfall eines jungen Patienten (a). Intraoperative Sicht in die Hüftgelenkspfanne nach anatomischer Rekonstruktion über die gleichzeitig durchgeführten chirurgischen Hüftluxation und Pararectus-Zugang (b) in einer Halbseitenlage. Postoperatives (c) und 3-Jahres-Röntgenbild mit wenig heterotopen Ossifikationen (Verknöcherungen) ohne Arthrosezeichen (d) bei funktionell hervorragendem Resultat (e).

Abb. 5a
Abb. 5b
Abb. 5c
Abb. 5d
Abb. 5e

 
 

Abb. 6. Zentrale Hüfluxationsfraktur mit komplexer Zweipfeilerfraktur nach seitlichem Sturz eines 96-jähirgen Patienten (Röntgenbild (a) und CT-Bild (b) präoperativ). Die Rekonstruktion über den Pararectus-Zugang und gleichzeitige Implantation einer Hüfttotalprothese mit hochporöser, verschraubter Pfanne und zementiertem Schaft über einen vorderen minimalinvasiven Zugang (Röntgenbild postoperativ (c)) erlaubte die sofortige Mobilisation unter Vollbelastung. Röntgenkontrolle nach 1Jahr (d) mit Nachweis von wenig Verknöcherungen bei sehr mobilem und selbständigen Patienten.

Abb. 6a
Abb. 6b
Abb. 6c
Abb. 6d

 
 

Abb. 7. Dorsale Hüfluxationsfraktur mit mehrfragmentärer instabiler Hinterwandfraktur eines 64-jährigen Patienten nach Fahrradsturz (Röntgenbild (a) und 3D-CT (b)). 6-Monat-Röntgenbild (c) nach Rekonstruktion über eine chirurgische Hüftluxation mit Trochanterosteotomie und primärer nicht-zementierter Hüfttotalprothese bei nicht anatomisch rekonstruierbarer Fraktur mit hohem Risiko der Knochennekrose der Hinterwand und des Femurkopfs.

Abb. 7a
Abb. 7b
Abb. 7c

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